Chinesischer Hauskauf.

  • 30.08.2014

  • Ein paar Tage vor dem Weihnachtsfest erreichte mich in meiner Rolle als Vereidigte Dolmetscherin der Anruf einer Chinesin: Sie und ihr Mann waren im Begriff, sich ein Haus zu kaufen, und der Notar hatte sie darauf hingewiesen, dass bei Verlesung des Vertrages ein Vereidigter Dolmetscher zugegen sein müsse. Sie als Ehefrau und Mitkäuferin könne dies nicht leisten, da Neutralität gewährleistet sein müsse. Der Termin sei in wenigen Tagen anberaumt. 

    "Der Termin dauert eine Stunde oder so - mein Mann kann nicht so gut Deutsch wie ich, dafür müssen Sie da sein." Bereits in weihnachtlicher Vorfreude bot ich der Frau einen wirklich freundschaftlichen Preis an: "Gut, wir wollten auch nicht mehr als unsererseits eingeplant für das Dolmetschen bezahlen! Ja, den Vertrag sende ich Ihnen noch zu ..." Kurz darauf erhielt ich ihre E-Mail mit einem dreizehnseitigen Vertrag, der alle Details des Kaufs beinhaltete. Die exakte sprachliche Vorbereitung hätte ein Mehrfaches der Verlesungszeit beim Notar gebraucht. 

    Da meines Wissens auch in China oftmals ein bereits besiegelte Abmachung erst den Beginn der eigentlichen Verhandlungen darstellt, hielt ich mich an dieses Prinzip: Ich teile der Kundin mit, dass die Vorbereitung zusätzliche Zeit erfordern würde und ich daher den doppelten (auch in dieser Höhe weiterhin sehr freundschaftlichen) Preis verlangen würde. 

    Am Abend fand ich auf meiner Mailbox Ihren Anruf sowie eine SMS: So ginge das aber nicht, es sei doch abgesprochen gewesen, sonst müsse sie sich jemand anders suchen, und dass ich mich schnellstmöglich bei ihr melden solle! Da ich den Abend bei Freunden war, beschloss ich, sie am nächsten Vormittag zurückzurufen und einen Kompromiss zu finden.

    Fünf Minuten später - am gleichen Abend -  fand ich allerdings auch noch ihre E-Mail vor: Im ersten Absatz forschte sie nach, wieso ich das im Vorfeld nicht gewusst habe, als Dolmetscherin müsse ich mein Fach doch beherrschen, ich würde ja schließlich ständig Verträge und Derartiges übersetzen. Ob mir der Auftrag etwa zu schwer sei?

    Abgesehen davon, dass sie hier ungeschminkt die mir erteilte Vereidigung aufgrund meiner fachlichen Befähigung, entstanden aus der langjährigen Beschäftigung mit der chinesischen Sprache, in frage stellte, war ihr zugleich nicht bewusst, dass Fälle wie der ihre nicht ständig vorkamen: Für mich war es die erste dolmetscherische Anfrage zu einem Kaufvertrag eines Hauses.

    Im nächsten Absatz kam es aber noch dicker: Sie teilte mir mit, dass sie selbst ihrem Mann den Kaufvertrag bereits übersetzt habe. Mir habe sie den Vertrag nur zur Erleichterung meiner Arbeit zur Verfügung gestellt, damit ich weiß, worum es ginge. Letztlich bräuchte sie einen Dolmetscher nur für die umgangssprachliche Dokumentation zwischen dem Notar und ihrem Mann: "Während der Notar den Kaufvertrag liest und erklärt, brauchen Sie eigentlich nichts zu übersetzen."

    Da ich aufgrund meiner langjährigen China-Erfahrungen Fälle und Ansprüche wie diesen bereits zur Genüge kannte, reagierte ich meinerseits professionell, in aller Ruhe am nächsten Morgen per SMS: "Unter den  gegebenen Bedingungen ist es mir in meiner Rolle als Vereidigte Dolmetscherin und den damit verbundenen Verpflichtungen nicht möglich, die professionelle Durchführung der Aufgabe zu gewährleisten. Ich trete daher vom Auftrag zurück."

    Kurz war ich versucht, die Anwaltskanzlei auf den Inhalt der E-Mail hinzuweisen, um dem Notar eine Idee von den Vorstellungen seiner Mandantin zu geben. Mit meiner Vereidigung sind letztlich auch gewisse Sorgfalts- und Hinweispflichten verbunden. Doch in der friedvollen Vorweihnachtszeit entschied ich mich dagegen, auch da ich mein eigenes Mandat soeben zurückgezogen hatte.

    Insgeheim stellte ich mir die Frage, wo und ob die Dame in der Kürze der Zeit einen anderen Vereidigten Dolmetscher zum gedachten Preis gefunden haben mag: In den fünf norddeutschen Bundesländern gibt nämlich nur insgesamt zwölf Vereidigte Chinesisch-Dolmetscher. 

    Sicherlich wird sie als aber die gewiefte und findige Chinesin, als die ich sie kennenlernen durfte, einen Weg gefunden haben, auch diese Herausforderung gekonnt zu meistern! 

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