David & Goliath.

  • 24.10.2014

  • Als ich auf der Hannover Messe 2012 erfuhr, dass es in China Usus ist, chinesische Wanderarbeiter einzustellen für die Durchführung inländischer Infrastrukturprojekte unter der Ägide westlicher Unternehmen und deren Ingenieure, bin ich persönlich fast vom Glauben abgefallen. Nicht nur, dass in dieser Konstellation die oben erläuterten Kommunikationsmuster und Lernrepertoires eine entscheidende Rolle spielen - hinzu kommt ebenso der Ausbildungsgrad dieser beiden Personengruppen, und der Unterschied zwischen beiden ist größer kaum vorstellbar. 

    Ein deutscher Ingenieur zeichnet sich durch eine profunde mehrjährige Ausbildung aus, in der ihm mathematisch, vom technischen Verständnis her und in der Praxis eine Reihe wesentlicher Einblicke in das Ingenieurwesen geboten werden. Ein weiter Fächer unterschiedlicher Schwerpunkte kommt hinzu, und die Suche nach Fachkräften bereits im deutschen Ingenieursmarkt zeigt, wie schwer es ist, einen gut ausgebildeten Ingenieur für das entsprechende Fachgebiet zu finden. Präzision und Genauigkeit spielen in diesem Beruf eine herausragende Rolle, und prägen sicherlich das Denken, die Vorgehensweise und die impliziten Annahmen dieser Menschen. 

    Chinesische Wanderarbeiter tummeln sich in Klumpen an jeder Ecke Chinas, so auch an jeder Straßenkreuzung Shanghais. Sie lümmeln dort herum, viele mit handgroßen Holzschildern bewaffnet, auf den drei bis vier Worte stehen: Elektrik - Sanitär - Reparaturen - Malerei. Genaue Auskünfte gäbe es dann sicherlich auf Nachfrage. Problem ist nur, dass diese Herren - in Shanghai sind es meist Herren, auf den Baustellen Chinas arbeiten auch Ehepaare oder gar ganze Familien - nur Chinesisch (oder ihren regionalen Dialekt davon) verstehen, und auch sonst keine allzu vertrauenerweckenden Eindruck als kompetenter Fachmann hinterlassen. Einfache Kleidung und Schuhwerk lassen darauf schließen, ebenso wie dieses gesamte Erscheinungsbild des herumlümmelnden Arbeiters, der sich in seiner Freizeit des Wartens an der Kreuzung mit Kollegen, die wahrscheinlich aus derselben Region stammen wie er, vergnügt. 

    Keiner meiner westlichen Bekannten hat sich jemals direkt an einen dieser Dienstleister gewandt. Allerdings dürften sie bestimmt in den shanghainesischen Kundendiensten für Elektrik - Sanitär - Reparaturen - Malerei untergekommen sein, wenn man den Berichterstattungen abstrusen technischen Vorgehens in deutschen Privathaushalten vor Ort Glauben schenken darf. 

    Über den Bau der Transrapid-Verbindung in Shanghai ist mir bekannt, dass zum Zeitpunkt des Baus alle Rammen der Stadt (ausnahmslos alle) für die Versenkung der Stelzen in den Boden verwendet wurden. Die chinesischen Ingenieure wollten bereits erste Testfahrten unternehmen, als der Beton noch nicht trocken genug war - die deutschen Kollegen haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und konnten sie davon abhalten. Doch auch heute fährt der Transrapid nicht stetig 433 km/h Spitze (was er kann), sondern oft um die 300 km/h. Technikern sei die Beurteilung dessen überlassen.

    Was also nun, wenn ein Heer von Wanderarbeitern die Infrastruktur für Autobahnen und - mehr noch - Schiene für die neuen Hochgeschwindigkeitszüge Chinas baut? Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, sich das damit zusammenhängende Szenario auszumalen: Hochgebildete deutsche Ingenieure, die versuchen, einfach bis kaum Gebildeten, mit nicht zwingend technischem Sachverstand Begabten, die Grundlagen der Baukunst derartiger Mega-Projekte zu erklären.

    Letztlich ließe sich auch hier nur auf chinesische Mitarbeiter setzen, die - als Wanderarbeiter oder anderweitig - bereits einige Erfahrung in den entsprechenden Fachgebieten der Ingenieurskunst sammeln konnten. Diese gibt es auch unter den Beschäftigten, und sie beherrschen auch einigermaßen Englisch. Oft nehmen sie bereits die Rolle von Vorarbeitern oder Dolmetschern ein. Regelmäßige Schulungen durch westliche Ingenieure in Kooperation mit diesen Kommunikatoren oder aber die mittelfristig Einstellung von Arbeitern, die bereits ein gewisses handwerkliches Niveau erreicht haben, wäre sicher eine Lösungsmöglichkeit.

    Doch darf man dabei nicht von der irrigen Annahme ausgehen, ein mehrjähriges technisch hochversiertes Studium und das darin ausgebildete technische Verständnis binnen kurzer Zeit in chinesische Köpfe zu pressen. Auch Lerngeschwindigkeit und Art des Lernens, Querdenkens und Vernetzens werden anders gelagert sein als gewohnt. Der am Beispiel des Vorhalts geschilderte Irritationseffekt aufgrund eigener inhärenter, bisher nicht hinterfragter Annahmen wird ganz gewiss beidseitig einsetzen. Dies alles findet zudem nicht in einer chinesischen Großstadt wie Peking und Shanghai statt, die normalerweise eine Reihe westlich geprägter Zirkel und Ablenkungen bereithalten, sondern in der Ferne eines Mega-Baustelle irgendwo in China, auf der die westlichen Manager eine magere Minderheit darstellen.

    In unterschiedlichen china-bezogenen Engagements ist mit diese Kluft im Ausbildungsniveau stets aufgefallen: Das westliche Niveau, Diskussionsrunden, Fachtagungen sind um vieles anspruchsvoller und detailversessener. Auf entsprechenden technischen Fachforen der Hannover Messe war die Verteilung Deutsche-Chinesen wohl auch aus diesem Grund auch 80:20. Umgekehrt waren in den Messe-Vorstellungen chinesischer Regionen oder Stadtregierungen in der Mehrzahl chinesische Besucher zu verzeichnen, die sich gewiss Kontakte zu Firmen in der Heimat als nächsten Karriereschritt erhoffen. Diese Messe-Analyse mag ebenfalls für sich sprechen.

    China mag als Riesenreich zwar oftmals wie ein einziger Goliath erscheinen, doch auch es besteht nur aus vielen kleinen Davids, die wiederum mit ihren Steinwürfen die westlichen Goliaths, in der Form westlicher Großunternehmen, in gewissen Bereichen - gewollt oder ungewollt - durchaus zu Fall zu bringen vermögen. Eine genaue Analyse der Situation unter Miteinbezug der chinesischen Wirkungsparameter ist Voraussetzung für weitere effektive projektinterne Schritte und Entwicklungen.

    In der Ansprache an deutsche Unternehmen mit China-Bezug erhielt ich als Antwort eine Handvoll Mails stets gleichen Stils: "Wir haben unsere China-Aktivitäten inzwischen eingestellt." Zu gern würde ich dazu die Geschichten, die sich hinter dieser Aussage verbergen, erfahren. Andererseits bleiben mir genug Möglichkeiten, andere China-Engagements kennenzulernen, zu unterstützen und zu beeinflussen. Auch, wenn die Vermittlung zwischen den Welten aufgrund der genannten Parameter stets anstrengend bleibt.

    Archiv